Restaurants & Esskultur Bye-bye, Beilage

Von Gregor Tholl

Es war einmal in Deutschland: Schnitzel, Spargel, Bratkartoffeln. Oder: Kasseler, Grünkohl, Salzkartoffeln. Soll heißen: Unter einer ordentlichen typisch deutschen warmen Mahlzeit wurde meist ein Drei-Komponenten-Gericht verstanden. Sprich: Fleisch/Fisch, Gemüsebeilage, (kohlenhydratreiche) Sättigungsbeilage. Stirbt die letztere jetzt langsam aus? Heißt es Abschied nehmen? Bye-bye, Beilage?

Sicher ist: Die Esskultur - und das Verhalten beim (offensichtlich immer teurer werdenden) Essengehen - ist im Wandel. Und zwar gleich mehrfach. Eine repräsentative Civey-Umfrage offenbarte neulich, dass knapp die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland seltener auswärts isst - «seit der Rückerhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent in der Gastronomie».

Und wer 2024 in angesagten Lokalen die Speisekarte liest, sieht öfter, dass es normaler wird, wenn etwa zum Rinderfilet, wie in teureren Restaurants in Amerika, jede Beilage extra kostet - oft tituliert als «Sides», darunter dann oft die Kohlenhydrate wie Fritten oder getrüffeltes Kartoffelpüree (oder Gemüse wie gegrillter grüner Spargel). Was ist kulturell passiert, wenn die früher selbstverständliche Beilage nur noch Option und kein «Muss» ist?

Natürlich essen immer noch Millionen Menschen Gerichte wie Roulade mit Rotkohl und Kloß. Nach wie vor servieren viele Gaststätten und Wirtshäuser Haxen und Wiener Schnitzel im traditionellen Setting. In Kantinen, Mensen, Krankenhäusern sind oft sogar noch Abteilteller aus Porzellan mit 3-fach-Unterteilung im Einsatz. Doch Jüngere haben oft längst andere Vorlieben. Im modernen Ernährungsalltag sind All-in-one-Essen aus einem tiefen statt flachen Teller angesagt. Man denke an Trends wie Bowls, arabische Küche, Asia-Food. Und Pizza, Pasta, Burger, Döner sind eh schon anders als Eisbein mit Sauerkraut.

Klassisches Komponentengericht so out wie Karstadt?

«Das lange Zeit in Deutschland übliche Drei-Komponenten-Gericht wird heute als total altmodisch wahrgenommen und von vielen als Bevormundung verstanden», sagt der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Uni Regensburg. «Festgefügte Komponentengerichte sind ungefähr so out wie die kriselnden Warenhäuser à la Karstadt.» Menschen wollten heute stets eine große Auswahl haben und erleben. Und so, wie sie im Warenhaus enttäuscht seien, wenn es nur zwei Regale mit Jeans gebe statt vieler Dutzend Modelle, so könne sich Enttäuschung breit machen, wenn die Speisekarte zu viel festlege.

«Die jüngere Generation findet es oft befremdlich, dass jeder am Tisch das Gleiche bekommen soll. Essen ist zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit geworden. Wir haben pseudo-individualisierte Ernährungsstile», sagt Hirschfelder. «Meist ist es eine Scheinwahl. Am Ende ist es völlig egal, ob ich Reis oder Nudeln nehme.» In den 80ern hätte eine Debatte über Beilagenvorlieben noch als bourgeois und versnobt gegolten, meint der Buch-Autor («Europäische Esskultur: Eine Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis heute»).

«Wenn Sie in den 80ern in ein bürgerliches Lokal gegangen sind oder zum Griechen, dann haben Sie nicht die ganze Zeit gesagt, was Sie weglassen wollen oder extra haben wollen oder was Sie nicht vertragen. Außerdem gab es noch die gesellschaftliche Strömung, die Kindern und Jugendlichen beibrachte "Du isst, was auf den Tisch kommt".» Ein Restaurantbesuch sei per se toll zu finden gewesen und Kinder hatten Schnitzel mit Pommes zu nehmen - und gut war. «Das würde ja heute als totale Zumutung verstanden werden.»

Wenn schon nicht die Welt verändern, dann wenigstens mein Essen

Um Deutschlands frühere Esskultur zu erklären, holt Hirschfelder etwas aus. Nach dem beschämenden Weltkrieg habe es eine «nivellierte Mittelstandsgesellschaft» gegeben, wie es einst der Soziologe Helmut Schelsky charakterisierte. «Man saß gesellschaftlich in einem Boot, symbolisch auch an einem Tisch, man pflegte eine Ernährung unter den ökonomischen Möglichkeiten, fiel lieber nicht mit einem extravaganten Geschmack auf. Und gerade Kartoffeln als Sättigungsbeilage waren symbolisch aufgeladen.» 

Wichtiger als das, was auf den Tisch kam, seien alles in allem materielle Konsumgüter gewesen, aber auch Reisen und Wohnen waren bedeutungsvoller als die Nahrungsaufnahme. Das änderte sich erst nach dem Ende der DDR und der alten BRD, sagt Hirschfelder.

In den letzten rund 30 Jahren entfalteten sich in der Wohlstandsgesellschaft nach dem Kalten Krieg neue Weltanschauungen - oft entlang des Leitnarrativs «Ich bin, was ich esse». «In einer globalisierten Welt ist Ernährung eine Komplexitätsreduktion, deshalb nehmen viele sie so wichtig.»

Derzeit sei eine Rückkehr politischer Ideologien zu beobachten, im Alltag dauere aber noch die Überbewertung des Essens an, meint der Kulturwissenschaftler. Es sei nach wie vor wichtig, was man esse und was man nicht esse, es gehe etwa um veganen Lifestyle, Low Carb oder möglichst exotische Kost. «Das Motto scheint zu sein: Wenn ich schon die Welt nicht verändern kann, dann kann ich wenigstens verändern, was auf meinem Teller ist.» dpa

Mein erster Besuch im Sternerestaurant

Von Lorena Simmel

Sie planen, sich etwas Besonderes zu gönnen und denken an Sterneküche? Doch schon der Gedanke daran verunsichert viele. Wie geht man entspannt ins «Fine Dining»? Antworten auf zehn wichtige Fragen.

Wer selten in Lokalen mit gestärkten Stoffservietten diniert, kennt den Stress beim Betreten eines entsprechenden Restaurants. Doch die Gourmet-Tempel werden immer lockerer und bauen Hürden ab, sagen Stil-Expertin und Kommunikationstrainerin Susanne Helbach-Grosser und Restaurantmanager und Head Sommelier Raphael Reichardt. Zeit, ihre Tipps und Tricks auszuprobieren!

1. Gibt es einen Dresscode?

Outfit-Empfehlungen gibt es laut Susanne Helbach-Grosser seitens der Sterne-Gastronomie kaum. Höchstens eine gewisse Erwartungshaltung. «Am besten passt man sich dem Ambiente des Lokals an», rät die Expertin. Dieses kann elegant, aber auch jung, modern und kreativ sein. 

«Wer sichergehen möchte, schaut im Internet nach, was andere Gäste getragen haben oder ruft im Zweifelsfall im Restaurant an, um nach dem Dresscode zu fragen», sagt Raphael Reichardt, Restaurantmanager und Head Sommelier des Sternerestaurants «Tim Raue».

Denn: «Kleidung drückt immer auch die Einstellung und Wertschätzung für den Ort aus, an dem sie getragen wird», sagt Susanne Helbach-Grosser. Verzichten Sie also am besten auf Sportbekleidung, Hoodies, löchrige Hosen oder Flip-Flops. Raphael Reichardt empfiehlt außerdem: «Für den Besuch in einem Restaurant, in dem es ganz besonders um das Erleben von Geschmack und Geruch geht, würde ich auf das Auftragen von zu viel Parfum verzichten.» Das könne andere Gäste stören und schränkt auch die eigenen Sinneswahrnehmungen ein.

2. Kann man bei der Wahl des Weins etwas falsch machen? 

«Beim Wein gibt keine falsche Wahl», sagt Susanne Helbach-Grosser. Laut der Expertin reicht es, ein paar Kriterien zu berücksichtigen, damit alle am Tisch mit der Getränkewahl zufrieden sind: «Tageszeit, Jahreszeit, Außentemperatur, Anlass und die Zusammensetzung des Personenkreises.» Für den Rest vertraut man sich dem Sommelier beziehungsweise der Weinkellnerin an.

«Einem Sommelier bereitet es ebenso viel Freude, für Anfänger einen passenden Wein zu finden wie Weinkennerinnen und -kenner zu überraschen», sagt Raphael Reichardt. Berührungsängste mit dem Sommelier sollte man keine haben, schließlich gehöre seine Expertise als «Dienstleistung» beim Besuch eines Restaurants mit dazu. Am besten nennt man ihm eingangs individuelle Vorlieben mit sowie gegebenenfalls das an dem Abend für den Wein eingeplante Budget.

3. Was, wenn ich keinen Alkohol mag?

«Das ist gar kein Problem», sagt Susanne Helbach-Grosser. Denn alkoholfreie Alternativen zu Bier, Wein und Spirituosen passen gut in unsere Zeit. «Und es geht auch alkoholfrei raffiniert. Als Gast kann man sich zum Beispiel verblüffende Neukreationen aus Obst oder Gemüse herstellen lassen», so die Etikette-Trainerin. Das sei auch in Absprache mit dem Küchenchef möglich: «Lassen Sie sich gerne darauf ein.» Der Sommelier wird auch hier gerne ihr Ansprechpartner sein.

4. Darf ich das Brot schneiden oder soll ich es rupfen?

Beilagen-Brot wird laut der Expertin mundgerecht mit den Fingern abgebrochen. «Mit dem Brotmesser können Butter und Aufstriche auf das abgebrochene Stück gegeben werden.» Jedoch werden keine «Stullen» geschmiert. Fettiges Knoblauchbaguette oder Pizzabrot darf dagegen abgebissen werden.

5. Wie steht es um die Serviettenregeln?

«Legen Sie die Serviette auf Ihre Oberschenkel, sobald der erste Gang serviert wird», sagt Susanne Helbach-Grosser. Drei Viertel der Serviette werden nach innen eingeschlagen, sehr große Servietten mittig gefaltet, mit der offenen Seite zu sich, damit man sich mit der hygienisch einwandfreien Innenseite die Lippen tupfen kann. Übrigens: Die Serviette bleibt während des ganzen Essens auf den Oberschenkeln liegen.

Möchte man zwischen den Gängen aufstehen, deponiert man die Serviette laut der Stil-Expertin links vom Teller. Nach dem Dessert wird sie locker zusammengefaltet links am Platz abgelegt. «Bitte legen Sie die Serviette nicht auf den schmutzigen Teller mit Soßenresten und Co.», sagt Raphael Reichardt. Auch Reinschnäuzen oder Ähnliches sei unerwünscht. Schließlich werde die Serviette hinter den Kulissen später von einem Restaurantmitarbeiter angefasst. Es geht also auch um den Respekt dem Personal gegenüber.

6. Wie frage ich nach, wenn ich mir unter einem Gericht nichts vorstellen kann?

In der modernen Sterneküche sollte das laut Reichardt nicht vorkommen. «Nachdem wir den Gästen die Karte und die Weinkarte gereicht haben, gehen wir nach einer Weile meist noch einmal aktiv auf sie zu, um sicherzustellen, dass alle Fragen rund um Zutaten, Zubereitungsweisen oder auch Allergene beantwortet werden», sagt er. Es sei Aufgabe des Restaurants, sicherzustellen, dass sich ein Gast rundum gut informiert und wohlfühlt.

Aber im Zweifelsfall fragt man laut Susanne Helbach-Grosser lieber noch einmal nach: «Was kann ich mir unter diesem Gericht vorstellen?» klingt unverfänglich und respektvoll. Oder: «Könnten Sie mir dieses Gericht bitte erläutern?»

7. Wie viel Trinkgeld ist angebracht und was ist bei der „Übergabe“ zu beachten?

Hierzulande sind 7 bis 10 Prozent des Rechnungsbetrages als freiwillige Leistung des Gastes üblich. «Sie können das Trinkgeld mit auf die Kreditkarten-Rechnung setzen oder in bar dazulegen», empfiehlt Susanne Helbach-Grosser. «Möchten Sie einer speziellen Person im Service danken, überreichen Sie das Trinkgeld in bar.»

Und: Ein ehrliches Kompliment wie «Mit welcher Begeisterung Sie uns den Wein und die Gerichte heute vorgestellt haben!» oder «Ich habe ja schon in vielen Restaurants gegessen, doch dies war wirklich vorzüglich!» kommen immer gut an. «Über ein Kompliment, das über das gewöhnliche "Vielen Dank, es war sehr lecker!" hinausgeht, freut man sich auch in einem sehr lobverwöhnten Umfeld», sagt Raphael Reichardt.

8. Kann ich mich beim Essen unbekannter Gerichte blamieren?

«Bestimmt nicht», sagt Susanne Helbach-Grosser. Denn die Gastgeber werden sehr wohlwollende und freundliche Menschen sein. «Und es ist mutig und erhellend, neue Gerichte zu probieren.» Falls Sie dennoch einmal Fragen bezüglich der richtigen Handhabung, etwa des Bestecks haben sollten, wenden Sie sich einfach freundlich an das Service-Personal.

«Wir möchten, dass sich in unserem Restaurant jeder Gast willkommen fühlt», sagt Raphael Reichardt. Laut dem Head Sommelier gehört es auch zu den Aufgaben des Restaurants, dass die Gäste beispielsweise mit dem für ein Gericht ausgesuchten Besteck umgehen können. Ansonsten sollte es vom Restaurant ausgetauscht werden. Und im Zweifelsfall hilft ein Blick zu einem Nebentisch: Wie handhabt man dort das unbekannte Besteck?

9. Darf ich meine Gerichte fotografieren und auf Instagram teilen oder gilt das immer noch als unhöflich?

Hier gehen die Meinungen laut Susanne Helbach-Grosser auseinander: «Wenn Sie guten Stil leben und Mitessende nicht nerven möchten oder für Sie fein essen gehen ohne Seltenheitswert ist, sollten Sie es lassen.» Einige Restaurants seien ohnehin gegen die Fotografiererei. Vielen aber ist Social Media dagegen sehr wichtig geworden. «Dann sollte das Restaurant aber auch getaggt werden.»

«Fisch oder Fleisch werden oft bei sehr genauen Temperaturen gegart und serviert», erklärt Raphael Reichardt. Wer dann viel Zeit mit Fotografieren vertrödelt, verpasst den idealen und vom Restaurant vorgesehenen Geschmack des Gerichtes, gibt der «Tim Raue»-Restaurant-Manager zu Bedenken. «Obwohl es heute eher untypisch ist, dass jemand seinen Teller nicht fotografiert, finde ich das schade. Denn ein Handy in der Hand lenkt immer vom eigentlichen Augenblick ab.»

 10. Darf ich mit dem Brot die Soße auftunken?

Manierentechnisch ist das laut Helbach-Grosser ein No-Go, obwohl es aus Sicht etlicher besternter Köche oder Köchinnen ein Kompliment ist. «Im Fine-Dining-Restaurant bestellen Sie sich aber besser einen Gourmet- beziehungsweise Soßenlöffel für die herrliche Soße. Denn vergeudet werden sollte sie nicht.»

Übrigens: 

Die Kommunikationstrainerin Susanne Helbach-Grosser beobachtet immer wieder, dass Menschen, die wenig Ahnung von Gourmet-Restaurants haben, ihre Unsicherheit mit Überheblichkeit kaschieren wollen. Ihr Rat: «Diese Schutzfunktion benötigt in der "Trüffel-Klasse" jedoch niemand. Lassen Sie sich ein, lassen Sie sich verwöhnen. Es wird bestimmt ein unvergesslicher Besuch.» dpa