Restaurant Vendôme Schloss Ortenberg x Joachim Wissler

Zwei Michelin-Sterne, fünf rote Gault Millau-Hauben und kürzlich die Auszeichnung des Rolling Pin als bester Koch des Jahres 2023: Seit über 20 Jahren bewegt sich Joachim Wissler auf Spitzenniveau. Als einer der ersten deutschen Sterneköche wandte er sich regionalen Lieferant:innen zu, und das lange bevor das Thema in aller Munde war. Nach dem Verlust des dritten Sterns hat er sein Küchenkonzept in einer zweimonatigen Kreativ-Auszeit überdacht und neustrukturiert, unter anderem mit einem stärkeren Fokus auf die vegetarische Küche.

Ganz im Gegensatz zum Restaurant Vendôme bewegte sich das Weingut Schloss Ortenberg bisher weitgehend unterhalb des Radars der internationalen Szene. Als Thomas Althoff es 2021 von der Kommune Ortenberg übernahm, brachte es mit großen Lagen und einem kompetenten Team allerdings viel Potenzial mit. Althoff stellte seinen ehemaligen COO und Weinkenner Andreas Schmitt an die Seite von Geschäftsführer Matthias Wolf, engagierte Weinberater Frank John und führte Neuerungen wie den sanften Rebenschnitt ein. Bereits nach einem Jahr zahlte sich die Arbeit aus, und aktuell sammelt vor allem die neue Premium-Linie St. Andreas reihenweise Auszeichnungen ein.

Dementsprechend gespannt sind wir, was uns angesichts einer Jahrgangspräsentation von Weingut Schloss Ortenberg zu einem 7-Gänge-Menü im Restaurant Vendôme erwarten wird. Weinpairing ist schließlich eine Kunst für sich: Beginnt man mit dem Wein und entwirft entsprechende Gerichte dazu? Oder kommt erst die Küche und dann der passende Wein?

Joachim Wissler vertritt dazu eine klare Meinung: Niemals würde er ein Gericht für einen bestimmten Wein konzipieren - das entspricht schlichtweg nicht seiner Herangehensweise und seinem allerhöchsten Anspruch an sich und seine Kochkunst.

Die Entscheidung, welcher Tropfen zu seinen Kompositionen passt, überlässt er lieber seinem Restaurantleiter und Sommelier. Und Christoph Strahl beherrscht die Kunst des Pairings perfekt. Zusammen mit Matthias Wolf (Foto oben) hat er für den Abend sieben Top-Weine vom Weingut Schloss Ortenberg zur Verkostung ausgesucht, fünf davon aus dem aktuellen Jahrgang 2022.

Zum Apéritif verkosten wir den Pinot Brut 2020. Aus Weiß- und Burgundertrauben nach klassischer Flaschengärungsmethode und einem Hefelager von 27 Monaten hergestellt, begeistert er mit einer feinen Perlage und delikaten Brioche-Aromen, begleitet von Zitrusfrüchten und Blüten. Ein großartiger Start und ein Paradebeispiel für das, was deutscher Sekt heute kann. Auch zu den aromenstarken Amuses bouches, die gleich im Fünferpack auftreten, funktioniert er hervorragend und bewährt sich als Mouthwasher: „Du brauchst den Schaumwein, um den Mund wieder freizukriegen“ sagt Matthias Wolf, während wir über den Geschmack der kleinen Kunstwerke philosophieren.

Die Amuse bouche-Parade - Fotos: Gesa Noormann

Zu unseren Favoriten zählt das Tomatenbaguette mit dem spanischen Edelschinken Jabugo Bellota, der im gefrorenen Zustand gerieben wird. Die Textur bewegt sich irgendwo zwischen Meringue und Biskuit und ändert im Mund ihren Aggregatzustand - tatsächlich entpuppt es sich als Anleihe aus der Molekularküche. Die ist zwar ein wenig aus der Mode gekommen, fasziniert beim Mundgefühl aber immer noch. Ganz besonders auch Wisslers Interpretation des Waldorfsalats, den er mit Trüffel und Tannenwipfeln auf die nächste Geschmacksebene hebt und so kunstvoll arrangiert, dass man den Hilton-Klassiker auch optisch kaum wieder erkennen würde.  Als Meister alter Schule beherrscht Joachim Wissler die Kunst des Amuse bouche vortrefflich: Genau wie die erste Seite eines Fontane-Romans metaphorisch-subtil die Geschichte vorwegnimmt, spielen seine genau richtig dimensionierten Teaser in konzentrierter Form auf die Dramaturgie des gesamten Menüs an. Das macht Spaß und Lust auf mehr.

Mit dem Sankt Andreas Andreasberg 2022 Riesling 1G haben wir einen strahlenden Riesling aus der Monopollage Andreasberg mit ihren für die Ortenberg-Weine stilgebenden Granitverwitterungsböden. Der Ausbau im großen Holzfass gibt ihm zusätzliche Struktur, ohne dem Klingelberger - so heißt der Riesling in Baden - die Frische zu nehmen. Seine reife, von der Frucht getragene Säure gibt der Königskrabbe & Seeigel Chawanmushi genau den richtigen Kick, ohne es zu erschlagen. Dieses eher leise Gericht lässt dank einem Krustentierfond, der nach 24 Stunden und 80 Grad Klärung im Beutel nicht so intensiv nach den typischen Bisque-Aromen schmeckt, Raum für die zarten Meeresfrüchte. Viel eigenwilliger Granit und Frucht unterstützen den Geschmack der herausragenden Jakobsmuschel - ein Wein, der sinnbildlich für die neue Ortenberg-Philosophie steht: Er soll so gesund wie möglich sein, das heißt Alkohol und Restsüße werden unter anderem durch frühe Ernte reduziert. Seit September wird nach ökologischen Richtlinien gearbeitet, um sich langfristig von fair & green als Bio-Weingut zertifizieren zu lassen.

Mit einem BOOM! geht es rasant weiter im Vendôme-Menü. Ein Mitglied des Küchenteams - toll, dass die Köch:innen selbst an den Tisch kommen - zeigt uns die riesigen Schalen, bevor wir eine getauchte Jakobsmuschel aus Norwegen von einer beeindruckenden Größe und Konsistenz auf den Teller bekommen. In dieser Produktqualität kannte ich sie bisher nur von den japanischen Artgenossen aus Hokkaido. Durch das schonende, Aromatik und Textur inklusive Rogen erhaltende, punktgenaue  Dampfgaren in der Schale und einer Shiitake-Algenbouillon bekommt die Meergeborene mehr Tiefe,  Umami und Jodigkeit. Die wie bei allen Gängen des Menüs in einem charakteristischen Keramikschüsselchen separat gereichte Beilage aus Butternut-Kürbis mit Amasake ergänzt die japanisch anmutende Aromenwelt mit dezenter Säure und Biss. Dazu verkosten wir den von Robert Parker mit 93 Punkten bewerteten, imitierten Furore 2022 aus der Collection Linie. Nomen est omen: Die Cuvée aus je 1/3 Chardonnay, Weißburgunder und Grauburgunder zeigt jetzt schon eine erstaunliche Trinkreife und überzeugt mit gut eingebundener Säure, zartem Duft und Saftigkeit.

Den Sankt Andreas 2022 Grauburgunder In der Steingrube hat Christoph Strahl zum Imperialkaviar mit Kartoffel-Buchweizenmadeleine ausgewählt. Intensive Apfel-, aber auch tropische Aromen, Eichenholz und die typische Frische des Granitverwitterungsbodens machen den Wein dieser Top-Lage ausgesprochen spannend. Auch mein Ausflug ins vegetarische Menü mit geschmacksintensiven Ravioli mit fermentierten Champignons steht dem Grauburgunder gut: Ein ausgesprochen flexibler, aber gleichzeitig charakterstarker Wein.

Der Schlossberg 2022 Chardonnay GG bewegt sich auf Augenhöhe mit dem edlen Atlantik-Glattbutt mit Tarbourieche-Auster, unserem nächsten Gang. Der Wein stammt aus der besten Ortenberg-Lage, dem Schlossberg, dessen karger Granitboden und ein kühles Mikroklima der Erzeugung von aromatischen Spitzenweinen besonders zuträglich ist - ein Wein mit großem Potenzial.

Kaum ausgetrunken, präsentiert uns ein weiteres Küchenteammitglied einen Hasenrücken, der 12 Tage in Bienenwachs gereift ist. Das aus vertrauenswürdiger Jagd im Münsterland stammende Tier erreicht uns perfekt dunkelrosa  gegart und einer Rouennaise aus Kalbsblut, begleitet von einem Rosenkohl mit Aalschmalzcreme. Ein klassischer Gang mit Twist, zu dem der mit nicht zu vielen Gerbstoffen überfrachtete Schlossberg 2021 Spätburgunder GG erstaunliche, fast an die Leichtigkeit eines Weißweins erinnernde Frische mitbringt. Typische Burgundernoten wie Schwarzkirsche, Orange und zusätzliche Dichte und Länge durch den Barriqueausbau zeigen auf der anderen Seite schon jetzt, wie großartig sich der Wein nach längerer Flaschenreife entwickeln wird.

Als vorletzten Gang serviert uns Joachim Wisslers talentierter Souschef Dennis Melzer einen „Vacherin“ Maître Antony mit Trüffel-Kartoffelsalat und gegrilltem Kartoffelbaiser. Selbst der Käsegang unterliegt im Restaurant Vendôme einer Vielzahl aufwändiger Arbeitsschritte. Deren Ergebnis ist angesichts der kräftig würzigen, fast schon bitteren Geschmacksnoten des Vacherins nur noch schwer zu identifizieren - bringt der Käse selbst doch schon eine immense Komplexität mit. Als ausgezeichnetes Komplement funktioniert hingegen die 76er Käfersberger Andreasberg Gewürztraminer Beerenauslese, die den Käse mit ihrer vielschichtigen Süße abfedert. Überhaupt passt Süßwein viel besser zu Käse als zu Desserts - da passen trockene Bubbles besser.

Christoph Strahl weiß das und serviert ausnahmsweise kein Pairing vom Weingut Schloss Ortenberg zur„Black &White“ Reinette, sondern den supertrockenen Apfelschaumwein 38 brut von Schneider. Joachim Wissler hat für sein Dessert die alte Apfelsorte Ananasreinette in zwei Variationen zubereitet: Einmal 48 Stunden mit Rauch-Koji fermentiert und einmal nach achtwöchiger Vakuumierung in Einzelteile zerfallen und zu Eis verarbeitet. Ein Rosenaufguss sorgt für florale Noten, die auf etwas irritierende Weise mit den intensiven Aromen vom Rauch-Koji konkurrieren. Ein Experiment sei dieses brandneue Dessert, verrät uns Joachim Wissler, der nun auch unter die Fermentierer gegangen ist. So richtig wissen wir allerdings noch nicht, ob die „Black &White“ Reinette nicht eher unter die Rubrik „interessant“ statt „lecker“ fällt, sind die Raucharomen doch recht dominant.

Zum sensationellen süßen Abschluss kommt Chef Patissière Larissa Metz mit einem Tablett voller Desserts, das bei mir lebhafte Jugenderinnerungen an diese unglaublich beladenen Servierwagen aus Italien und Frankreich weckt. Meine Augen sind so groß wie damals. Welche wir denn gerne hätten, fragt sie. Zwischen koketter Scham und überbordender Freude schwankend, antworte ich: „Alle“. Darf man das (auch wenn es mir die einzig mögliche Antwort erscheint angesichts des Bildes, dass sich einer ausgesprochenen Dessert-Liebhaberin bietet)? Mit einer gewissen Erleichterung stelle ich fest, dass ich nicht die Einzige an unserem Tisch (und bei den GOURMETWELTEN) bin, die so frech entscheidet.

Auch Larissa Metz beweist Mut: Sie kombiniert mit Limette aromatisierte Baiserschalen mit Basilikum und Ananas zu einer großartigen Süß-Säure-Bombe. Oder peppt eine Crème Chantilly mit Madagaskar-Pfeffer auf, die sie als Stick auf einen Eisstiel zieht. Nach einer Ice Age-Eichel und nach Kamille schmeckender Mousse in Blütenform haut mich der Schaumkuss mit Kokos geschmacklich so um, dass ich beschließe, meine eigenen Experimente, die Kindheits-Süßigkeit nachzubauen, für immer ad acta zu legen.

Es geht uns immer noch gut, der Bauch leidet nicht und das könnte jetzt immer so weitergehen. Das spricht gleichermaßen für das Menü und die Weine, die beide auf ihre Weise mit faszinierender Leichtigkeit und aromatischer Tiefe glänzen. Es ist spät, als wir über den dunkel glänzenden Schlosshof, der so sehr an die Place Vendôme in Paris erinnert, in unsere Zimmer zurückkehren. Ein bemerkenswerter Abend, ein Erlebnis, das bleibt.

Welche Gründe auch immer den Guide Michelin getrieben haben, Joachim Wissler den dritten Stern abzuerkennen: Wir haben es hier mit einem großen Koch zu tun, der sich in Produktqualität und Herstellungsfinesse auf der einen und Kreativität und Ästhetik auf der anderen, definitiv auf allerhöchstem Niveau bewegt. Gut, dass er den Schlag in die Magengrube qua bodenständiger und demütiger Persönlichkeit konstruktiv zu einer kleinen Neuerfindung nutzen konnte.

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