Emmeramsmühle und Corona-Schließung Versicherung muss entschädigen

Die Versicherung hatte sich geweigert zu zahlen. Das Gericht befand nun aber, dass die Klausel, mit der sie ihren Leistungsumfang einschränken wollte, intransparent und daher unwirksam sei. Zudem betonte die auf Versicherungsrecht spezialisierte Kammer, dass es nicht darauf ankomme, ob das Virus in dem betroffenen Betrieb aufgetreten sei. Entscheidend sei, dass der Betrieb wegen des Infektionsschutzgesetzes geschlossen worden sei.

Das Gericht sah zudem auch keinen Grund, die Ansprüche des Wirts wegen staatlicher Hilfen oder Kurzarbeitergeld zu mindern. Diese seien ja keine Schadensersatzzahlungen für die Betriebsschließung.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Erst am Mittwoch hatten sich der Wirt der bekannten Gaststätte Paulaner am Nockherberg und die Allianz bei einer ähnlichen Klage außergerichtlich geeinigt. In einem anderen Fall entschied das Gericht Anfang Oktober bereits zugunsten des Augustinerkellers und sprach dem Wirt gut eine Million Euro zu. Alleine beim Landgericht München I sind bisher 88 Klagen zu den Betriebsschließungsversicherungen eingegangen. Die Allianz sah sich zuletzt bundesweit mehr als 100 gegenüber.

Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Bayern begrüßte das Urteil vom Donnerstag. «Es bestätigt unsere Rechtsauffassung», sagte Landesgeschäftsführer Thomas Geppert. Allerdings komme es auch immer auf den einzelnen Vertrag an. dpa

Mitteilung  12. Zivilkammer des Landgerichts München I

Heute (22.10.20)  hat die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des Landgerichts München I einer weiteren Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 427.169,86 € aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließung gegen eine Versicherung weitgehend stattgegeben (Az. 12 O 5868/20). Geklagt hatte die Betreiberin eines Gasthauses in München.
Nach Ansicht der Kammer besteht eine Leistungspflicht der Versicherung.
Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hatte den klägerischen Betrieb ab dem 21.03.2020 aufgrund des Coronavirus geschlossen. Dabei kommt es, so die Kammer, auf die Rechtsform und die Rechtmäßigkeit der Anordnung für die Einstandspflicht der Versicherung nicht an.
Dass das Coronavirus nicht im Betrieb des Klägers aufgetreten ist, steht dem Anspruch ebenfalls nicht entgegen, denn nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ist allein maßgeblich, dass der Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geschlossen wurde.
Der Betrieb der Klägerin ist auch vollständig geschlossen gewesen, ein – rechtlich zulässiger – Außerhausverkauf war der Klägerin nicht zumutbar. Nach Ansicht der Kammer stellt ein Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft ist, keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen muss.
Der Versicherungsumfang wurde – entgegen der Ansicht der beklagten Versicherung – nicht wirksam eingeschränkt, denn die von der Beklagten in § 1 Ziffer 2 AVB verwendete Klausel ist intransparent und daher unwirksam. Dem Versicherungsnehmer muss, wenn der Versicherungsschutz durch eine AVB-Klausel eingeschränkt wird, deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel besteht, so die Kammer.
Diesen Anforderungen wird § 1 Ziffer 2 AVB nicht gerecht. Denn der Versicherungsnehmer geht auf Basis des Wortlauts der AVB davon aus, dass der Versicherungsschutz dem Grunde nach umfassend ist und sich mit dem IfSG deckt und in § 1 Ziffer 2 AVB eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt. Dass die Auflistung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Ziffer 2 AVB jedoch im Vergleich zum IfSG unvollständig ist, ist für den Versicherungsnehmer nicht naheliegend, denn eine klare und deutliche Formulierung wie zum Beispiel „nur die folgenden“, „ausschließlich die folgenden“ oder „diese Auflistung ist abschließend“ enthält die Klausel nicht.
Um den wahren Gehalt des Versicherungsschutzes zu erfassen, müsste der Versicherungsnehmer letztlich die Auflistung in § 1 Ziffer 2 AVB Wort für Wort mit der aktuellen geltenden Fassung des IfSG vergleichen. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar wird, die der durchschnittliche Versicherungsnehmer dieser Versicherung nicht kennt, ist jedoch intransparent.
Im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Entschädigung sind – nach Ansicht der Kammer – weder Kurzarbeitergeld noch staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, da es sich hierbei nicht um Schadensersatzzahlungen gerade für die Betriebsschließungen handelt. 
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die hier maßgeblichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) lauten auszugsweise wie folgt:


  • „§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren
    1. Versicherungsumfang
    Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)
    a) den versicherten Betrieb [...] schließt; [...].
    2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
    Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
    a) Krankheiten
    [...]
    b) Krankheitserreger
    [...]
    § 3 Ausschlüsse
    [...]
    4. Krankheiten und Krankheitserreger
    Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf. [...].“


Inzwischen sind in dem Verfahrenskomplex Betriebsschließungsversicherung am Landgericht München I 88 Klagen eingegangen.